Die drei wichtigen Phasen bei der CFS Genesung
Ist eine CFS Genesung überhaupt möglich? Und falls ja, was kann ich tun, wenn ich schon seit Monaten oder Jahren chronisch erschöpft und krank bin und keine Besserung erlebe? Diese Fragen haben mir in meiner CFS Erkrankung schon so manche Stunden Schlaf geraubt.
In diesem Artikel geht es darum,
- ob eine CFS Genesung überhaupt realistisch ist und
- welche drei wichtigen Phasen wir dabei beachten sollten.
Denn wie bei fast jedem Leiden gibt es drei Phasen, die für eine Genesung wichtig sind.
Aber zuerst einmal die Frage:
Kann ich bei meiner CFS Erkrankung auf Genesung hoffen?
Viele Betroffene verlieren beim Recherchieren über diese Krankheit schnell die Hoffnung. Zu Recht. Denn nicht wenige Mediziner und Internetplattformen schreiben, dass CFS unheilbar ist.
Tatsächlich liegen gerade jetzt viele Tausend Menschen mit Fatigue im Bett oder auf der Couch. Sie erleben die ganze Palette an Symptomen. Spüren keine Besserung. Sind entmutigt. Bekommen von Ärzten keine Hilfe. Ich eingeschlossen!
ABER!
Es gibt zum Glück auch andere Mediziner und Betroffene, die von spürbarer Verbesserung erzählen. Ja, nicht wenige sind sogar ganz genesen und erzählen mit Herz und Dankbarkeit auf Youtube oder anderen Kanälen ihre Geschichten. Viele davon kannst du auch auf unserem Blog unter Hoffnungsgeschichten nachlesen.
Dabei muss es ja nicht einmal eine Komplett-Heilung sein. Wenn wir uns schon signifikant gesünder fühlen und auf der Schweregrad-Skala von 15% auf 65% steigen, wäre das fantastisch. Oder?
Deshalb dürfen und sollten wir uns die realistische Hoffnung auf Genesung nicht nehmen lassen. Oder zumindest die Aussicht auf eine Besserung. Egal, wie viele Symptome uns gerade plagen.
Dies schreibe ich bewusst als Betroffener, der selbst schon lange ans Bett „gefesselt“ ist. Denn ohne Hoffnung fühle ich mich wie die Bäume, die vor unserer Wohnung ihre Herbstblätter verloren haben und kalt dastehen. Wie tot. Wenn ich nicht wüsste, dass irgendwann der nächste Frühling kommt, wäre das tragisch.
Was kann ich also tun, um zu genesen? Eine große Frage, der wir mit mehreren Artikeln auf dieser Webseite auf den Grund gehen.
Hier soll es erst einmal um die drei wichtigen Phasen gehen.
Phase 1 für jede Genesung: Akzeptieren
Nehmen wir Krebs als Beispiel. Manche gehen aus Angst vor einer Krebs-Diagnose gar nicht erst zum Arzt. Manchmal sogar trotz deutlicher Anzeichen für einen Tumor.
Andere bekommen die Diagnose, wollen sie aber nicht wahrhaben. Sie tun die Diagnose als harmlos ab und leben einfach weiter. Mittelfristig gesehen eine tödliche Strategie.
Nur wenn wir die Krankheit als Realität akzeptieren, können wir Schlimmeres vermeiden und eine Besserung erwarten.
Lass mich nur zwei Gründe nennen, warum das Akzeptieren so wichtig ist:
Erstens: Wir verhindern dadurch eine Verschlimmerung der Erkrankung
Wenn ich mein chronisches Fatigue Syndrom als Diagnose akzeptiere, nehme die Krankheit sehr ernst. Und das ist gut so. Denn dadurch achte ich z.B. darauf, dass ich meine Belastungsgrenze nicht überschreite. Warum ist das wichtig?
Bei ME/CFS leiden wir meist unter der sogenannten Belastungs-Intoleranz. Im Gegensatz zu einer Depression oder einem Burnout ist zu viel körperliche Bewegung und Aktivität sehr gefährlich.
Vielleicht fragst du dich gerade, warum ich bitte schön von körperlicher Bewegung und Aktivität spreche? Bei CFS ist es doch gerade das Problem, dass wir nicht genügend Kraft haben?
Da hast du völlig Recht. Aber genauso wahr sind auch die Stimmen in unserem Kopf oder gar von unseren Mitmenschen:
- Stell dich nicht so an, reiß dich zusammen!
- Wenn ich den ganzen Tag auf der Couch liegen würde, wäre ich auch immer müde. Komm hoch, beweg dich mal mehr.
- Jetzt hab ich schon so lange geruht und es ist nicht besser geworden. Scheiss drauf – ich tue jetzt einfach so, als wäre ich gesund.
Solchen Stimmen habe ich nur allzu oft nachgegeben. Und musste die Konsequenzen hinterher ausbaden. Denn wenn wir unsere Belastungsgrenze überschreiten, kann es zu einem noch schlimmeren Rückfall kommen, der uns um Wochen oder Monate zurückwirft und die Symptome noch verschlimmert.
Der Fachbegriff dafür ist PEM – Post-Exertional Malaise. Es ist diese typische Verschlechterung nach jeder mentalen oder körperlichen Überanstrengung. Und wenn sie nur für kurze Zeit war.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns auf die Krankheit einstellen und uns z.B. mit dem Thema Pacing beschäftigen, wie z.B. im Blogartikel Pacing bei ME/CFS – alles Wichtige zusammengefasst oder auch im Podcast-Gespräch mit Kati.
Zweitens: Wir blockieren dadurch nicht unsere Genesung
So verrückt es sich anhört – gerade das Aktzeptieren sorgt dafür, dass wir anschließend in der richtigen Art und Weise weiterkämpfen können.
Dabei muss ich an eine kürzliche afrikanische Beerdigung in unserer weiteren Verwandtschaft denken.
Schon Wochen vor der Beerdigung wurde die Witwe des verstorbenen Ehemannes von vielen Leuten besucht. Und immer wenn wieder jemand in den Raum trat, in denen viele Mit-Trauernden saßen, gab es ein lautes Klagen. Der Besucher weinte laut mit der Witwe und ließ seiner Trauer freien Lauf.
Als der Sarg schließlich bei der Beerdigung in den Boden gelassen wurde, gab es lautes Wehklagen und Weinen.
Eine sehr gesunde Art, mit Trauer umzugehen.
Dem Schmerz eine Stimme geben.
Klagen erlauben und die Wut zulassen.
Sich Zeit zum Bedauern und Verarbeiten geben.
Und das gilt nicht nur bei der Trauer, sondern eben auch bei unserer CFS Erkrankung. Dadurch können sich diese verständlichen Emotionen nicht noch tiefer setzen und dem Organismus noch mehr Stress bereiten, als er sowieso schon ertragen muss.
Deshalb hilft es mir, meine Krankheit in ähnlichen Schritten zu akzeptieren wie den Trauerphasen.
Die 5 Trauerphasen nach Elisabeth Kübler Ross:
- Nicht wahrhaben wollen. Um nicht gleich ganz überfordert zu sein, schützen wir uns selbst und glauben erst noch, dass es sich um einen Irrtum handelt. Wir haben doch schließlich so gesund gelebt.
- Zorn und Wut. Wir spüren blanke Hilflosigkeit, Verzweiflung und auch Ungerechtigkeit. Diese Wut lassen wir an uns und unseren Mitmenschen aus. Ein wichtiger Teil der Bewältigung. Auch wenn es schmerzt.
- Verhandeln. So langsam arrangieren wir uns mit der Krankheit. Aber wenn schon krank, dann wenigstens …! Wir versuchen zu verhandeln und das Beste daraus zu machen.
- Depression. Diese körperliche Krankheit schlägt natürlich auf die Psyche. Wir fühlen uns hilflos, unverstanden, ohne Hoffnung.
- Akzeptanz. Nun beginnen wir, der gesamten harten Realität ins Auge zu sehen und fragen uns: Wie kann ich mich am besten mit dieser Krankheit arrangieren?
Übrigens sind diese Phasen nicht linear. Manchmal spüren wir alle Phasen gleichzeitig, manchmal überwiegt eine Phase. Wichtig ist, dass ich alle diese Elemente bewusst durchlebe und weiß:
Es ist in Ordnung.
- Es ist in Ordnung, wenn ich gerade am Anfang die Realität nicht ganz wahr haben will, um mich in besonders harten Zeiten nicht zu überfordern.
- Es ist in Ordnung, wenn ich meiner Wut und meinem Schmerz eine Stimme gebe.
- Es ist verständlich, dass ich bei dieser körperlichen Erkrankung auch Depressionen empfinde. Dafür sollte ich mich nicht noch schlechter fühlen.
- Und es ist gut, wenn ich mich dadurch langsam immer mehr mit der Krankheit arrangiere und sehe, wie ich das Beste daraus machen kann.
Phase 2 bei jeder Genesung: Arrangieren
Beim chronischen Erschöpfungssyndrom wurde uns viel genommen, aber eines haben wir dadurch mehr:
Zeit.
Leider.
Denn wir wollen doch eigentlich schnell gesund werden.
Genau das ist gerade das frustrierende Phänomen bei CFS. Nur in den seltensten Fällen erleben Menschen eine schnelle Genesung. In der Regeln dauert es Monate oder Jahre, bis es durch bewusste Maßnahmen deutlich besser wird.
Diese längere Zeit durchzuhalten kann sehr hart sein.
Also braucht es passende Strategien, damit wir in dieser Zeit weder unsere Hoffnung noch unsere Selbstwirksamkeit verlieren.
Und hier kommt das Arrangieren ins Spiel. Beim Arrangieren geht es darum, sich so gut wie möglich auf die neue Situation einzulassen. Das Beste daraus zu machen. Und dafür zu sorgen, dass wir unser neues Leben so gut wie möglich gestalten.
In der Krankheit.
Trotz der Krankheit.
Manchmal fühlt sich die Krankheit für mich so an, als hätte man mich in den Keller gesperrt. Abgetrennt vom Leben. Kalt und dunkel.
Das Schlimmste: Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Keller verbringen muss, bis ich wieder das Tageslicht sehen werde.
Genau deshalb ist es wichtig, dass ich mir den Keller so schön und angenehm gestalte wie nur möglich. Denn je wohler ich mich in dem metaphorischen Keller fühle, desto besser ist mein emotionaler Zustand. Je besser mein emotionaler Zustand, desto höher ist die Chance auf Genesung.
Nicht umsonst gibt es die Berichte, in denen sich Erkrankte monatelang nur lustige Filme angeschaut haben, um sich wieder “gesund zu lachen”. Ganze Bücher wurden dazu geschrieben. Mir tut es z.B. so gut, wenn eines meiner Kinder Zeit mit mir verbringt und wir auch schon mal lachen können.
Die Medizin belegt eindeutig, dass unser emotionaler Zustand einen starken Einfluss auf die biochemischen und neuroimmunologischen Prozesse in unserem Körper haben.
Nun, ich selbst habe es zumindest nie geschafft, mich immer nur durch den Tag zu lachen. Dazu wiegt die Krankheit zu schwer auf mir. Und ich werde wohl auch nie in der Gefahr stehen, mir den Keller so schön einzurichten, dass ich nie wieder das Tageslicht sehen möchte.
Aber es hat mir sehr geholfen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, um mir das Krankenleben schöner zu gestalten. Sowohl äußerlich als auch mental und emotional. Hier ein paar persönliche Beispiele:
- Ich habe das Bett, das bei uns im Wohnzimmer aufgestellt ist, so ausgerichtet, dass ich einen Blick nach draußen habe.
- Mein Bruder hat mir eine erweiterte Fensterbank gebaut, sodass ich manchmal direkt am Fenster liegen kann und nach draußen schaue.
- Ich lese regelmäßig hoffnungsvolle Berichte von anderen Betroffenen, denen es mittlerweile besser geht, zum Beispiel über das Gupta Programm.
- Mit Hilfe meiner Familie und Freunde kann ich an diesem Blog schreiben. Dies ist einerseits eine therapeutische Maßnahme, um meinen Schmerz zu verarbeiten. Gleichzeitig gibt es mir die Gelegenheit, aus dem Kellerloch noch etwas Gutes zu tun.
Durch solche Maßnahmen geht es mir zumindest emotional oft besser als noch vor einigen Monaten. Gleichzeitig gibt mir dies alles genügend innere Kraft und Motivation, an der Hoffnung festzuhalten UND mich auf weitere Schritte in der dritten Phase einzulassen.
Übrigens sind die Phasen nicht chronologisch zu verstehen. Wir können sie eher wie drei Zeiträume verstehen, die wie ein Puzzle ein Ganzes ergeben. Alle drei Phasen, alle drei Puzzleteile sind wichtig.
Phase 3 bei jeder Genesung: Therapieren
Alle uns bekannten Genesenen berichten, dass ihre Heilung nicht einfach so zustande kam. Nein, sie haben sich bewusst dafür entschieden, gesund werden zu wollen oder zumindest eine signifikante Verbesserung zu erleben.
Das Ziel der Genesung haben sie immer wieder vor Augen gehabt.
Für dieses Ziel haben sie immer wieder etwas getan.
Natürlich immer im Rahmen ihrer Möglichkeiten: Sie haben recherchiert, sich beraten lassen, entsprechende Untersuchungen gemacht, von anderen Betroffenen gelernt UND zumindest einige Ratschläge und Gelerntes umgesetzt.
Sie haben die Genesung zu einer ihrer Haupt-Prioritäten gemacht.
Nun ist jeder von uns Betroffenen in einer anderen Situation. Vielleicht stehst du noch ganz am Anfang der Diagnose. Vielleicht hast du schon jahrelange Untersuchungen und Versuche hinter dir. Deshalb sollen die folgenden Schritte nur ein kurzer Impuls sein, was für dich vielleicht als Nächstes dran wäre.
Sieben Bereiche, in denen du aktiv in deine Genesung investieren kannst
- Die innere Einstellung justieren. Eine Art Gedankenhygiene betreiben und mich mental auf das einstellen, was mir gut tut und die kleinen Hoffnungspflänzchen in mir zum Blühen bringt. Der emotionale Zustand kann auch für den Körper Wunder vollbringen. Zum Thema Emotionale Verkraftung gibt es eine ganze Podcast-Serie von mir.
- Den äußeren Input kontrollieren. Ganz bewusst nur Artikel lesen, Podcasts hören und mich von dem prägen lassen, was mir gut tut und mein Denken auf das Hoffnungsvolle fokussiert. Material findest du auf dieser Webseite genug. Auch der Kontakt zu entsprechenden Selbsthilfegruppen oder einzelnen Betroffenen kann richtig gut tun.
- Die Belastungsgrenze kalibrieren. Zu viel Belastung ist gar nicht gut. Aber zu wenig hilft auch nicht. Deshalb ist es wichtig, die eigene Grenze auszutesten und zu schauen, wie wir in sehr kleinen Schritten die Belastung erhöhen können. Wie gesagt – Pacing ist hier ein wichtiger Schlüsselbegriff.
- Mögliche Ursachen identifizieren. CFS wird zwar meistens durch einen Virus ausgelöst, aber trotzdem gibt es bei fast jeder CFS Erkrankung mehrere Ursachen, die zumindest eine Genesung verhindern wollen. Diese einzelnen Ursachen gilt es systematisch abzuklopfen, wie in unserem ausführlichen Artikel über die persönliche Ursachenforschung.
- Weitere Mediziner konsultieren. Deine persönliche Ursachenforschung bedeutet, dass du z.B. Schritt für Schritt entsprechende Blutwerte testen lässt. Vielleicht hilft es, noch einmal nach entsprechenden Ärzten oder Heilpraktikern zu suchen? Eine Liste findest du unter Ressourcen.
- Die Ernährung adaptieren. Eine gesunde vollwertige und hauptsächlich pflanzenbasierte Ernährung ist Grundvoraussetzung für unsere Gesundheit. Heute kommen wir auch an Nahrungsergänzungsmitteln nicht mehr vorbei. Deshalb ist Ernährung ein weiterer wichtiger Baustein für unseren Genesungsprozess.
- Giftstoffe eliminieren. Unser Körper ist i.d.R. viel zu vielen Toxinen ausgesetzt. Gerade bei CFS ist deshalb Entgiftung und die Vermeidung weiterer Giftstoffe ein wichtiges Thema, wie auch in dieser Podcast-Episode erklärt.
Das Thema Therapie beinhaltet natürlich noch mehr Bausteine. Du kannst diesen Artikel aber schon mal als Art Sprungbrett nutzen, um noch mehr in die einzelnen Themen-Becken zu springen und dich etwas mehr darin zu vertiefen.
Wie gesagt – weiterführende Artikel findest du auf dieser Webseite.
Zum Schluss wäre es großartig, wenn wir als Gemeinschaft von deinen eigenen Erfahrungen lernen und du in den Kommentaren kurz etwas zu der folgenden Frage schreibst:
Was hat dir persönlich geholfen, dich mit der CFS zu arrangieren?
Ich danke dir, dass du dir die Zeit zum Lesen und Schreiben genommen hast.
Hallo Johannes Schulte,
vielen Dank für den wertvollen Artikel!
Ich bin kürzlich auf das Krankheitsbild ME/CFS gestoßen und habe mich komplett darin wiedererkannt. Jetzt recherchiere ich umfassend dazu und freue mich sehr über Beiträge wie diesen, die Hoffnung und eine erste Orienterung bieten.
Ich werde den Neuigkeiten auf diesem Blog weiter folgen.
Viele Grüße
Michael
Hallo Michael,
herzlichen Dank für dein Feedback, das freut mich sehr. Auch wenn du den Blog weiter verfolgst und wir in Kontakt bleiben, fände ich prima. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir uns irgendwann auf einer Konferenz treffen würde, wo wir gemeinsam mit anderen ME/CFS Betroffenen austauschen und auch feiern, weil es uns mittlerweile viel besser geht?!
Auf jeden Fall wünsche ich auch dir, dass du die Hoffnung nicht aufgibst.
Viele Grüße!!!