ME CFS – ist Heilung möglich?
Gibt es bei ME CFS eine realistische Chance auf Heilung? Diese Frage beschäftigt mich, seitdem ich mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom CFS bzw. der Myalgischen Enzephalomyelitis ME diagnostiziert wurde. In diesem Artikel möchte ich meine persönlichen Ansichten zu dieser Frage erläutern und auch gleich mit meiner Motivation dafür ins Haus fallen:
Als selbst Betroffener geht es mir darum, dass wir in der ganzen Misere den Mut nicht verlieren, sondern stattdessen auf die Möglichkeiten schauen. Ich bin es müde, zu oft davon zu lesen, dass es für ME CFS keine Therapie und keine Heilung gibt. Denn das glaube ich nicht. Deshalb dieser Artikel.
Warum kann überhaupt der Eindruck entstehen, dass es bei ME CFS keine Heilung gibt?
Wenn du dich im Internet über ME CFS informierst, wirst du schnell mit niederschmetternden Aussichten konfrontiert. Um das zu verstehen, möchte ich einige Erklärungen versuchen.
Meine erste Erklärung ist folgende:
CFS wird meistens als eine Krankheit dargestellt, es ist jedoch medizinisch gesehen ein Syndrom und keine Krankheit. Und zwar ein Syndrom, das erst einmal unabhängig von dahinter liegenden Krankheiten diagnostiziert wird.
Ein Syndrom ist die Kombination mehrerer Symptome. Das chronische Fatigue Syndrom bezeichnet den Zustand, wenn jemand über einen langen Zeitraum (chronisch) unter diesen Symptomen leidet.
Das Hauptsymptom ist die chronische Erschöpfung, d.h. die körperlichen Energiereserven sind so stark erschöpft, dass es nach nur geringen Aktivitäten zu einer unverhältnismäßigen Verschlechterung kommen kann. Hinzu kommen noch weitere Symptome, wie Muskelschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und unerholsamer Schlaf.
Nun haben viele Menschen zwar dieselben Symptome und werden mit ME/CFS diagnostiziert, aber die Ursachen dafür können unterschiedlich sein.
Nebenbemerkung zur Bezeichnung:
Das chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome) wird auch in Zusammenhang mit der myalgischen Enzepalomyelitis genannt. Manche machen einen Unterschied, andere sehen ME und CFS als ein und dasselbe oder zumindest viele Überschneidungen. In diesem Artikel nutze ich CFS und ME für dieselbe Problematik und fasse es unter ME CFS zusammen. Auch Long Covid kann an dieser Stelle genannt werden, denn in 10-20% der Fälle entwickelt auch Long Covid oder Post-Covid das chronische Fatigue Syndrom. Eine Gemeinsamkeit für all diese Syndrome ist die Post-Exertional Malaise (PEM), d.i. die Zustandsverschlechterung nach unverhältnismäßig geringen Anstrengungen.
Nun, nach zwei Jahren Recherche verstehe ich ME CFS als ein Sammelbecken verschiedener Krankheiten und gesundheitlicher Baustellen. Bei manchen mag das Fatigue Syndrom nur eine einzelne Ursache haben. Findet man diese und behebt sie, verschwinden auch die Beschwerden und die Person ist geheilt.
Bei vielen anderen wird das Syndrom eher durch eine Kombination an verschiedenen Störungen, Vorerkrankungen und/oder Pathomechanismen verursacht. Ein Problem setzt sich auf das andere, bis das sprichwörtliche Fass überläuft und die Ressourcen des Körpers aufgebraucht sind, sprich wir chronisch erschöpft sind.
Kein ME CFS Krankheitsbild gleicht dem anderen. Im Grunde müssen wir fast alle ME/CFS-Fälle individuell betrachten und therapieren.
Wird dagegen ME CFS als ein und dieselbe Krankheit angesehen, dann sucht man auch nach ein und derselben Lösung, nach der einen Therapie, dem einen Medikament. Diese eine Lösung gibt es aber verständlicherweise nicht.
Daraus darf ich aber nicht schließen, dass es generell für ME CFS keine Therapie und keine Hilfe zur Heilung gibt.
Gegen solch eine Behauptung wehre ich mich.
Ja, in den meisten Fällen ist die Geschichte komplex und langwierig. Es braucht eine gründliche Diagnostik und Suche nach Ursachen und Therapieansätzen. Am besten mithilfe einer Lotsenberatung, wie z.B. manche Selbsthilfegruppen oder Naturheilpraktiker anbieten.
Das bedeutet natürlich nicht, dass es für jeden Menschen mit ME CFS immer eine Lösung gibt und Heilung. Darüber bin ich mir bewusst. Denn ich selbst bin seit zwei Jahren meist bettlägerig und kann aus eigener Erfahrung nicht von Heilung sprechen.
Aber ich bin auf dem Weg.
Und ich will die Hoffnung nicht aufgeben.
Weil sie realistisch ist, wie ich finde.
Und zwar aus vier Gründen.
4 Gründe, warum Heilung von ME CFS meiner Meinung nach möglich ist
Grund 1: Die Möglichkeit, von ME CFS geheilt zu werden, entspricht der Erfahrung von Betroffenen.
Die vielen verschiedenen Erfahrungsberichte auf dieser Webseite sind eigentlich schon Beweis genug. In den Hoffnungsgeschichten liest du über viele unterschiedliche Heilungswege, die Mut machen. Genauso erzählen auch in vielen Podcast-Episoden Betroffene von ihrer Heilung, wie z.B. Daniel, Sophie, Flosch (fast ganz genesen), Ulrike oder Gwendolin. Genauso auch in dem Blogartikel: Von CFS geheilt: Diese Erfahrungen zeigen, dass es möglich ist.
In dem o.g. Blogartikel und auch unter Ressourcen findest du noch weitere englischsprachige Plattformen, auf denen du insgesamt mehrere hundert Erfahrungsberichte lesen oder anschauen kannst. So hat z.B. Raelan Agle nach ihrer eigenen Erkrankung mittlerweile über 75 weitere Personen auf ihrem Youtube-Kanal interviewt, die von ihrer (manchmal auch teilweisen) Genesung berichten.
Viele Berichte zeigen, dass die Genesung nicht davon abhängt, ob es sich um eine schwere oder leichte chronische Fatigue handelt. Das macht mir Mut.
Grund 2: Studien und Statistiken bestätigen die Möglichkeit der Heilung von ME CFS.
In einer Metastudie analysierte man zehn Studien mit insgesamt 826 Patienten. Die Genesungsraten dieser einzelnen Studien lagen zwischen 4,5% und 83%.
Eine andere Meta-Analyse umfasste 14 Einzelstudien. Die Rate an vollständig Genesenen lag zwischen 0 und 31%. Die Rate derjenigen, die eine deutliche Verbesserung erlebten, lag zwischen 8-63 %.
In einer Studie untersuchte man 234 ME/CFS-Patienten in einem Zeitraum von 11 Jahren auf körperliche und geistige Beeinträchtigungen. Die Studie ergab, dass sich die körperliche Funktion bei vielen Patienten im Laufe der Zeit verbesserte.
In einer anderen Studie schienen Patienten, bei denen sich nach einem viralen Infekt ME/CFS entwickelt hatte, die beste Prognose zu haben. Nach zwei Jahren waren acht von neun Patienten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Von den neun Patienten mit nicht-infektiösem Ausbruch waren nur drei zur Arbeit zurückgekehrt. Alle Patienten erhielten die gleichen Behandlungen.
Die Behandlung von ME CFS durch eine kognitive Verhaltenstherapie ist umstritten. Zumindest sollte die Behandlung nicht auf diese Therapieform reduziert werden.
Doch sogar beim alleinigen Einsatz von kognitiver Verhaltenstherapie zeigten die Ergebnisse einer Studie, dass 18% komplett geheilt waren: „Bei der Nachuntersuchung nach 6 Monaten erfüllten 37,5% der Patienten weder die Oxford- noch die CDC-Kriterien für CFS, während 18,3% vollständig genesen waren.
In einer weiteren Studie untersuchte man den langfristigen Gesundheitszustand von Personen, die vor 2,5 Jahrzehnten mit CFS diagnostiziert wurden. Fünf der befragten 25 Personen gaben an, immer noch am chronischen Fatigue Syndrom zu leiden, während 20 Befragten angaben, keine Diagnose mehr zu haben.
Beide Gruppen wurden mit gesunden Kontrollpersonen in Bezug auf die Funktionsfähigkeit und den Schweregrad der Symptome verglichen. In vielen Bereichen waren die Genesenen zwar noch erheblich eingeschränkter als die gesunde Kontrollgruppe, aber in anderen Bereichen konnte wiederum kein Unterschied mehr festgestellt werden.
Nehmen wir Zahlen aus Deutschland. So steht in der Zeitschrift „Die Innere Medizin“ (8/2022):
“Bei etwa 40 % der Betroffenen verbessert sich der klinische Zustand im langjährigen Verlauf. Eine komplette Remission ist bei Erwachsenen selten (im einstelligen Prozentbereich).“
Eine komplette Remission bedeutet, dass man keine einzigen Zeichen der Krankheit mehr vorfindet. Dies ist in der Tat eher selten, denn sogar Gesunde Menschen spüren immer wieder mal Symptome, die bei ME CFS so typisch sind, ob unerholsamer Schlaf, Erschöpfung oder Gliederschmerzen.
Grund 3: Plattformen und Experten sagen, dass Heilung möglich ist.
Die amerikanische Gesellschaft für ME/CFS schreibt:
„Auch nach vielen Jahren der Krankheit sind deutliche Verbesserungen und eine funktionelle Genesung möglich. Mit funktioneller Genesung meinen die Ärzte die Rückkehr zum normalen – wenn auch angepassten – Leben. Patienten, die sich funktionell erholt haben, können zwar nicht mehr so aktiv leben wie vor ihrer Erkrankung, aber sie sind in der Lage, zu arbeiten, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen und voll am Leben teilzunehmen. Es gibt sogar dokumentierte Fälle von Langzeiterkrankten, die sich vollständig erholt haben.“ (…)
Im Jahr 2020 veranstaltete Dr. Klinghardt eine Konferenz mit namenhaften Ärzten, die sich mit ME CFS auskennen. Das Thema dieser Konferenz spiegelt die Überzeugung vieler der teilnehmenden Ärzte und Experten wider.
„Eine Zukunft ohne ME/CFS. Es geht um wahre Ursachen und effektive Behandlungsstrategien. Dr. Klinghardt wird Protokolle zur Überwindung dieser schrecklichen und offensichtlich biomedizinischen Krankheit vorstellen und den Betroffenen und ihren Betreuern, die oft jahre- oder sogar jahrzehntelang vernachlässigt und mutlos waren, Hoffnung geben.“
Der Leiter der ME/CFS Selbsthilfe Köln spricht von einer geschätzten Genesungsrate bis zu 80%. In der Begleitung vieler Betroffener machen sie immer wieder die Erfahrung, dass die Chance auf Genesung erheblich steigt, wenn sie nach den individuellen Ursachen suchen und diese therapieren. Ja, es dauert oft eine ganze Zeit, aber es lohnt sich.
Auch die Mitarbeiterin einer anderen CFS Initiative schrieb mir: „CFS kann man seit 30 Jahren schulmedizinisch diagnostizieren und mit Erfolg behandeln.“
Auch Dr. med. Birgitt Theuerkauf beschäftigt sich seit den 1990iger Jahren mit ME CFS. In ihrem Buch “Chronische Erkrankungen behandeln und heilen” zeigt sie ein 10-Punkte-Therapieprogramm auf, über das schon viele ihrer Patienten wieder genesen sind. Am Ende des Buches schreibt sie:
“Erst die Erfassung aller für den jeweiligen Patienten bedeutsamen Umstände und deren gemeinsame Behandlung führen zu einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass eine Verbesserung des Ausgangszustandes am Ende auch zu einer erfolgreichen Genesung führt.”
Das macht mir Mut. Dir auch?
Und es unterstreicht, wie wichtig die “gemeinsame” Behandlung ist, also die Mitarbeit von uns Betroffenen.
Grund 4: Viele Betroffene, die aktiv in ihre Genesung investieren, erleben diese auch. Nicht alle und nicht immer, aber doch eine beträchtliche Anzahl.
Dazu möchte ich kurz auf die Studien zurückkommen. So wichtig diese auch sind, steckt gleichzeitig aber auch in jeder Studie ein menschlicher Faktor, der jede wissenschaftlichen Studie wieder etwas relativiert. Zum Beispiel kann die Motivation und das innere Engagement der Teilnehmer nicht wirklich gemessen werden.
Durch die Interviews und Geschichten auf dieser Webseite und durch Gespräche mit anderen habe ich den Eindruck, dass es bei allen Genesenen einen gemeinsamen Faktor gibt:
Alle Genesenen haben sich proaktiv und innerhalb ihrer Möglichkeiten für ihre Genesung eingesetzt und eine hohe Eigeninitative gezeigt.
Sie haben sich beraten lassen.
Haben den Rat umgesetzt.
Und nicht aufgegeben.
Heißt dies, dass alle anderen, die auch nach Jahren noch nicht gesund sind, nichts dafür getan haben oder gar Schuld an ihrer Erkrankung sind.
Auf keinen Fall!
Als Illustration:
Alle Menschen, die einen Marathon gelaufen sind, haben vorher schon kleinere Läufe gelaufen. Sie haben trainiert.
Wir können aber nicht den Umkehrschluss ziehen und sagen:
Alle Menschen, die schon mal kleinere Läufe gelaufen sind und trainieren, laufen irgendwann den Marathon.
Genauso ist es auch laut meinem Verständnis bei der Heilung von ME CFS:
Alle Genesenen taten etwas dafür und haben nicht aufgegeben.
Aber nicht alle, die etwas getan haben und dran bleiben, werden geheilt.
Das schreibe ich ganz bewusst, falls du schon viele Jahre viel ausprobiert hast – so wie ich auch. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, wie frustrierend dies sein kann.
Aber gerade deshalb wollte ich diesen Artikel schreiben. Damit wir nicht aufgeben. Damit wir dran bleiben und uns nicht einreden lassen, dass eine Heilung sowieso nicht möglich ist.
Was können wir tun, um unsere Chance auf Genesung oder Verbesserung zu erhöhen?
Lass mich am Ende drei generelle Impulse nennen, die viele Impulse und Meinungen dieser Webseite zusammenfassen und mir grundsätzlich am meisten helfen:
1. Individuelle proaktive Vorgehensweise.
Die höchste Erfolgsrate erleben meiner Meinung nach diejenigen, die sich selbst mit dem Thema ME CFS auseinandersetzen und initiativ in ihre Gesundheit investieren. Das heißt, wenn sie innerhalb ihrer Kräfte und Geschwindigkeit nach Ursachen, Störfeldern und Therapieansätzen suchen, Blockaden beseitigen, das Immunsystem stärken und manche Ratschläge umsetzen.
Am besten mithilfe von Lotsenberatern in Selbsthilfegruppen oder durch Ärzte und Naturheilpraktiker, die du z.B. unter Ressourcen findest. Aber auch auf dieser Webseite und im Podcast findest du viele hilfreiche und kostenlose Impulse und Expertengespräche mit Ärzten, die dir weiterhelfen können.
Wichtig ist dabei immer die eigene Situation. Was dem einen hilft, muss der anderen noch gar nicht helfen oder kann einem Dritten sogar schaden. Es geht immer um eine individuelle Vorgehensweise. Jede Geschichte ist anders. Aber doch gilt: Ein chronisches Problem muss nicht chronisch bleiben.
2. Maßnahmen, die grundsätzlich die Selbstheilungskräfte stärken.
Neben der ganz individuellen Behandlung der eigenen Blutbilder, Störfelder und Krankheiten gibt es glücklicherweise auch Dinge, die uns allen gut tun und helfen können.
Zum Beispiel die Stimulierung des Vagusnerven, der extrem wichtig für unsere Selbstheilungskräfte ist. Manche berichten, dass allein die neue Verkabelung/Konditionierung des autonomen Nervensystems die komplette Heilung gebracht hat. Genauso ist auch die radikale Reduzierung von Stress wichtig, denn Stress kann hoch toxisch sein.
Stattdessen lieber mehr entspannen, z.B. durch Meditation oder Qigong. Und natürlich überhaupt durch Pacing darauf achten, dass wir unsere Belastungsgrenzen nicht überschreiten. Auch eine gesunde Ernährungsweise spielt eine wesentliche Rolle. Also alles, was grundsätzlich – unabhängig von einzelnen Krankheiten – gut und gesund für uns ist.
Und dabei spielt unser mentales Innenleben ebenfalls eine wichtige Rolle:
3. Unseren inneren Fokus auf das richten, was uns stärkt.
Auch wenn ME CFS größtenteils eine körperliche Angelegenheit ist, so spielt unsere Psyche, unser emotionaler Zustand und unser mentaler Fokus natürlich eine enorm wichtige Rolle.
Deshalb hilft es mir sehr, wenn ich meinen inneren Fokus so häufig wie möglich auf das richte, was mir gut tut. Wenn ich mit Menschen in Kontakt bin, die mir Energie geben statt Energie ziehen. Wenn ich auf Webseiten und Portalen unterwegs bin, die Zuversicht versprühen.
Und wenn vor allen Dingen ich selbst gut zu mir bin.
Wenn ich mir gut zurede anstatt mir vielleicht sogar die Schuld für alles zu geben.
Wenn ich mir erlaube, jetzt auch krank sein zu dürfen und mich nicht stresse, unbedingt bald gesund werden zu müssen.
Und wenn ich trotz dieser Erlaubnis weiterhin daran festhalte, dass Heilung von ME CFS möglich ist. Wahrscheinlich nicht heute. Bestimmt auch nicht morgen. Und auch nicht in ein paar Wochen oder Monaten. Oder vielleicht doch?!
Zumindest besteht die sehr realistische Chance, dass es auch dir irgendwann irgendwie deutlich besser gehen wird.
Ich danke dir herzlich für deine Zeit, die du mir hier geschenkt hast.
Von Herzen wünsche ich dir für jeden Tag die genau richtige Portion Zuversicht und innere Stärke, die du gerade brauchst.
Und um deine Zuversicht noch mehr zu stärken, möchte ich dir sehr die mutmachende Heilungsgeschichte von Kathi (Video und Text) empfehlen.