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Prof. Dr. Stark über Forschung und Erkennisse zu ME/CFS

Danke fürs Teilen

Prof. Dr. Michael Stark hat eine Menge zum Thema ME CFS zu sagen, weil er selbst schon seit Jahren dazu forscht. Weil die Podcast Folgen 51 und 52 mit ihm so wertvoll sind, hat Andrea sie hier für dich noch einmal sehr detailliert verschriftlicht. Vielen Dank, Andrea, für diese gute Arbeit.

In diesem Blogartikel liest du also das Transkript des Gesprächs, jedoch etwas leserlicher aufgeschrieben. Trotzdem noch so nah am Gesagten, dass wir mit diesem Text sozusagen Prof. Dr. Stark selbst zu Wort kommen lassen. Alle kursiven Texte sind NICHT von Prof. Stark, alles andere zumindest sinngemäß von ihm.

Lass uns kurz noch Prof. Dr. Stark vorstellen.

Psychiater, Forscher und ME/CFS Experte

Prof. Stark lebt und arbeitet in Hamburg und ist unter anderem:

  • Leiter des Instituts für Verhaltenstherapie
  • Professor für klinische Sozialpsychiatrie
  • Facharzt für Psychiatrie, psychosomatische Medizin und Psychotherapie
  • Dipl. Psychologe

Er beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Fatigue-Problematik, der Belastungsintoleranz und mit den vielfältigen körperlichen Symptomen, die ja bei uns so häufig ohne medizinisch auffälligen Befund sind.

Und er forscht auch daran, CFS-Marker zu finden, um einen wissenschaftlichen Nachweis zu bringen, mit dem man ganz eindeutig CFS-Erkrankte von Gesunden bzw. psychisch Erkrankten differenzieren kann.

In dieser Zeit hat er viele PatientInnen selbst behandelt und macht es noch. Allerdings nur noch Menschen aus Hamburg, denn ähnlich wie die Fatigue-Ambulanz der Charité von Frau Prof. Scheibenbogen, ist seine Behandlungskapazität ausgereizt.

Warum beschäftigt sich ein Psychiater mit Umweltmedizin, ME/CFS und Fatigue?

Das ist eine lange Vorgeschichte. Ich habe Psychologie studiert. Und die Psychologie ist eine Wissenschaft, die neugierig macht. Also auch über den Tellerrand hinausschaut und nach Zusammenhängen forscht.

Im Studium der Psychiatrie hat mich besonders das Fachgebiet der Sozialpsychiatrie interessiert. Denn dort guckt man sich den Menschen in seiner Umgebung an, also in der einzigartigen Situation, in der er lebt.

Ich schaue also nicht nur auf die einzelnen Symptome, egal ob körperliche und / oder psychische, sondern auf den gesamten Kontext, den dieser Mensch mitbringt. Denn es können sehr wohl auch körperliche Symptome auftreten, die nichts mit der Psyche zu tun haben. Aber dazu muss ich doch noch etwas mehr ausholen.

Ein gutes Beispiel, warum die richtige Diagnose so wichtig ist

Das Psychiatrie-Studium beinhaltet auch ein Jahr praktische Ausbildung in der Neurologie. Meine Ausbildung habe ich in einem kleinen Krankenhaus verbracht.

Der dortige Chefarzt stellte mir eine Patientin vor, der er nicht helfen konnte. Er hatte sie schon auf MS untersucht und konnte keine körperliche Ursache für die Beschwerden der Patientin feststellen.

Er sagte zu mir: “Guck Du mal, sie hat bestimmt eine psychische Erkrankung.”
Die Frau litt unter Empfindungsstörungen und Kribbeln in den Fingern. Sie war unruhig, müde und erschöpft.

Ich habe sie dann ausführlich über ihr Leben, ihren Beruf und ihre Beziehungen befragt. Sie sagte, es sei alles in Ordnung. Auch ihre Arbeit als Gärtnerin mache ihr Spass. Ich fragte sie auch nach saisonalen Beschwerden, woraufhin sie meinte, dass es ihr im Winter immer schlecht ginge. Im Frühjahr sei alles wieder Bestens.

Da kam ich auf die Idee zu fragen, was sie denn im Winter mache. Tatsächlich kam heraus, dass sie im Winter im Gewächshaus arbeitet und die Pflanzen spritzt.

Sofort kam in mir der Verdacht auf, dass das Pflanzenschutzmittel der Auslöser für ihre Beschwerden sein könnte. Also haben wir ihr Blut im Labor überprüfen lassen und der Verdacht wurde bestätigt. Das Pflanzenschutzmittel war an die Blutplättchen angeheftet.

Das war ein sehr wichtiger Befund. Denn so konnte der Frau geholfen werden.

Sie wurde dann nämlich nicht psychiatrisch, sondern entgiftend mit Infusionen behandelt und dadurch ging es ihr ziemlich schnell wieder besser.

Somit wurde mir sehr deutlich klar, dass diese vielfältigen vermeintlich psychischen oder psychosomatischen Symptome durchaus eine körperliche Ursache haben können.

Später in den 80igern fand ich auch die ersten Kontakte zu Menschen, die Probleme mit der Umwelt hatten. Da wurde mir bewusst, wie viele Menschen schon damals daran erkrankt waren. So kam ich dem Thema Umweltmedizin und ME/CFS nochmals näher. Ein Thema, mit dem ich mich mittlerweile viele Jahre beschäftige.

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Was er damals schon über Pacing gelernt hat

Ich kannte in meinem Berufs-Alltag sehr genau die Symptomatik beim chronischen Erschöpfungssyndrom. Wenn diese hochgradig erschöpften Menschen einem normalen Sportprogramm ausgesetzt waren, wurde genau das Gegenteil erreicht. Also lagen sie dann erstmal einen Tag lang in der völligen Schwäche im Bett. Sie kamen gar nicht mehr hoch. Also anders als bei depressiven Menschen, denen Bewegung gut tut und bei denen durch Bewegung die Fatigue verringert wird.

Also habe ich sie dann liegen gelassen und gesagt: “Sie müssen ihre Grenzen kennenlernen, Sie dürfen sich wirklich nur ein bisschen bewegen.“

Er hatte also damals schon erkannt, wie wichtig das Einhalten der eigenen Grenzen ist und warum deshalb das Thema Pacing so wichtig ist – ohne das Wort damals zu kennen.

Aber …. Bewegung ist wichtig. Der Muskel muss bewegt werden, damit er Myokine ausschüttet. Das sind Nerven/Botenstoffe, die dem gesamten Körper signalisieren: Es ist alles ok, ich bewege mich noch.

Diese Erkenntnisse habe ich schon vor vielen Jahren versucht zu vermitteln, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Damals hat es nicht viel gebracht, doch durch Long Covid sind sie endlich mehr in den Fokus gekommen.

Dadurch haben sich CFS Patienten, die ihre Erkrankung ja noch gar nicht kannten, in den medialen Berichten über Long Covid wiedererkannt.

Sie haben festgestellt, dass es ihnen genauso geht. Sie konnten sich kaum bewegen und waren immer nur erschöpft. Also informierten sie sich im Internet, kamen zu mir und wollten die Diagnose gestellt bekommen.

Das merke ich auch in meiner Praxis, denn die Zahl der Anfragen hat sich seit Corona verdoppelt. Deshalb nehme ich aktuell nur noch Patienten aus Hamburg auf. Leider nicht mehr aus dem gesamten Bundesgebiet. Ich schaffe es einfach nicht mehr.

Das ist meine Geschichte, wie ich zu dieser ME/CFS Erkrankung kam.

Als Prof. Dr. Stark  dann aufhörte, in der Klinik zu arbeiten, hat er die Erkrankung zu seinem Schwerpunkt gemacht. Ihm wurde bewusst, wie wichtig es ist, die Diagnostik so darzustellen, dass sie deutlicher zeigt, was der Mensch wirklich hat.

Diagnosekriterien und -instrumente bei Long Covid und ME/CFS

Eigentlich gibt es ja verschiedene Diagnostik-Instrumente für ME/CFS. Besonders in amerikanischen Publikationen. Das am häufigsten angewandte und ins deutsche übersetzte Diagnosekriterium sind die Kanadischen Kriterien.

Das Abfragen der Leitsymptome ist eine gute Diagnose-Möglichkeit.

Einige Leitsymptome sind z.B. die chronische extreme Erschöpfung, von der man sich nicht erholen kann. Jegliche Anstrengung, sowohl körperlich als auch mental und kognitiv, kann diese extreme Erschöpfung verschlimmern. Sie wird auch als Post Exertional Malaise (PEM) bezeichnet.

Dazu können in allen Funktionsbereichen des Körpers Störungen auftreten. Also Einschränkungen im kognitiven Bereich, Störungen im Herz-Kreislauf-System und auch im immunologischen Bereich.

Prof. Dr. Stark erstellt unter anderem auch Gutachten für Erkrankte. Denn viele von uns müssen sich mit verschiedensten Institutionen wie z. B. Krankenkassen und / oder Rentenversicherungen um die Anerkennung ihrer Krankheit streiten.

Gibt es einen Bio-Marker für ME/CFS?

Das Dilemma ist, dass trotz der eigentlich eindeutigen Kriterien ein eindeutiger immunologischer Marker fehlt. Es sind viele Versuche gemacht worden. Frau Prof. Dr. Scheibenbogen hat da im Bereich der Immunologie entscheidend dazu beigetragen.

Doch selbst die Befunde über die zusammengeklebten Blutplättchen sind keine klaren Biomarker, denn sie sind auch bei anderen Krankheiten zu finden.
Es gibt also weiterhin keinen Bio-Marker, der die Diagnose bestätigt. Für Mediziner ist es aber nach wie vor sehr wichtig, einen messbaren Parameter zu haben. Denn sonst kommt von ihnen folgende Kritik: Wenn es keinen messbaren Marker gibt, dann ist es eine schwammige Erkrankung. Das ist der häufigste Kritikpunkt.

Dabei gibt es Beispiele aus der früheren Rheumatologie. Z. B. bei der Multiplen Sklerose gab es in den 50er Jahren auch keine eindeutigen Laborwerte. Da konnte man auch nur Symptome sammeln und zusammenfassen.

Die PatienInnen waren damals in der gleichen Situation wie heute Menschen mit ME/CFS. An MS Erkrankte wurden damals auch für psychisch krank und besonders die Frauen für hysterisch gehalten.

Bis dann im CT die Entzündungsherde im Gehirn entdeckt wurden und im Gehirnwasser die TAU Proteine nachgewiesen werden konnten. Erst dann wurde die MS als somatische Krankheit eingestuft.

Was Prof. Stark von einem Sportwissenschaftler über Messinstrumente für ME CFS gelernt hat

Die Forschung versucht verzweifelt, einen Marker zu finden.

Mein Weg, einen Marker zu finden, hat eine ganz andere Wendung genommen. Damals, als ich noch in der Klinik arbeitete, habe ich einen Sportwissenschaftler kennengelernt. Er schrieb seine Doktorarbeit über Hochleistungsathleten.

Bei denen ist bekannt, dass ihr Körper von einem Tag auf den anderen nicht mehr mitmacht, wenn sie sich zu viel engagieren. Oder auch wenn sie zu viel trainieren, mental zu sehr gewinnen wollen. Sie sind dann ins sogenannte Übertraining gerutscht.

Dieser Wissenschaftler hat ein Messinstrument entwickelt. Mit dem kann man messen, wann jemand in so ein Übertraining rutscht. Man kann die Grundspannung der gesamten Muskulatur messen.

Neurologen können ja auch die Spannung messen, aber nur die eines einzelnen Muskels. Die Grundspannung selbst kann man nur mit einem ganz bestimmten Messinstrument messen. Dieses wurde hier an der Hamburger Sportuniversität entwickelt.

Die Sportler schilderten ihren Zustand so: “Ich will ja, aber mein Körper macht nicht mit.”

Da fiel mir auf, dass alle meine Patienten auf der CFS-Station dasselbe sagen: “Ich will, aber mein Körper macht nicht mit.”

Und diese Aussage unterscheidet sie klar von einem depressiven Patienten. Der depressive Mensch sagt: “Ach nee, also heute nicht. Ich bin so erschöpft und ich bin müde und lustlos.” Wenn man diesen Menschen aber unter die Arme packt und ihn zur Bewegung und Sport anregt, dann erweckt ihn das.

Und genau das ist der fundamentale Unterschied zwischen einem depressiv Erkrankten und einem CFS-Patienten. Wenn man diesem gewaltsam unter die Arme greift und zum Sportprogramm schleppt, dann schadet man ihm ernsthaft.

Dieses große Problem haben leider die meisten in der “Szene” immer noch nicht verstanden. Die ME/CFS Patienten werden immer noch in psychosomatische Kliniken geschickt und dort gezwungen, ein Sportprogramm mitzumachen. Denn die Rentenversicherung macht großen Druck. Immer noch heißt es ‘Reha vor Rente.’

Viele Patienten versuchen durchzuhalten und sind danach völlig kaputt oder sie brechen dann die Reha ab, weil sie einfach nicht mehr können und es ihnen noch schlechter geht. Das wird ihnen dann negativ angelastet. Und so kommen sie zu mir mit dem Auftrag, ein Gutachten für den Widerspruch zu erstellen.

Doch zurück zur Messmethode.

Wie man über die HRV den Stresslevel des autonomen Nervensystems messen kan

Ich habe dem Sportwissenschaftler den Auftrag gegeben, dass er alle meine CFS Patienten mit seiner Messmethode untersucht.

Und siehe da: Alle waren hoch angespannt.

Auch diese immense Anspannung ist ein Gegenteil zur Körperspannung eines depressiven Patienten.
Wir haben dann darüber nachgedacht, woher diese hohe Anspannung kommen könnte. Da bin ich auf ein zweites Verfahren gestoßen, und zwar von einem Kollegen aus Vancouver, der Zeit seines Lebens zum Thema Stress geforscht hat.

Er hat ein Untersuchungsinstrument benutzt, das heißt Herzratenvariabilitätsmessung (HRV). Das ist mittlerweile ein Goldstandard in den USA für Stressmessungen.

Dieses HRV misst die Leistung des Herzens. Im Gegensatz zum EKG, das misst, ob die Schlagzahl richtig ist und ob die Folge von rechter und linker Kammer in der Elektrifizierung richtig ist.

Bei der HRV wird dagegen der Abstand der Herzschläge gemessen. Und man hat herausgefunden, dass ein angestrengtes Herz oder umgekehrt ein entspanntes Herz genauso entspannt ist, wie ein lockerer Muskel.

Wenn wir den lockeren Muskel anspannen, ist er sehr hart. Und somit zeigt ein angespanntes Herz harte Schläge. Harte Abstände. Sie fluktuieren nicht, d. h. sie wechseln nicht die Intensität. Das kann man per Computer messen.

Dieses HRV-Messinstrument habe ich dann bei meinen CFS-Patienten auch angewandt. Mit dem HRV-Wert haben wir somit einen Parameter. Wir können messen, inwieweit der Körper unter Sympathikus- oder Parasympathikus Aktivität steht.

Denn das Gleichgewicht zwischen den beiden ist wichtig für unser fundamentales gesundes Regulationssystem.

Wie sieht eine gesunde Regulation des autonomen Nervensystems aus?

Bei gesunder Regulation passiert folgendes:

Wenn wir in Gefahr sind, springt sofort unser Sympathikus an, bringt uns Kraft und Power erhöht den Blutdruck. Es lässt uns ganz klar die Problematik erkennen.

Diese Art der Regulation unseres autonomen Nervensystems ist vor Urzeiten entstanden. Ich sag immer, dass ist der Säbelzahntiger-Reflex. Der hilft uns, zu überleben.

Wenn die Gefahr vorüber ist, kommt der Gegenspieler. Abends in der sicheren Höhle essen wir das gejagte Wild, fangen an zu kuscheln und zu entspannen. Und dann auch zu schlafen.

Das bedeutet, dass der Parasympathikus eingeschaltet wird. Das ist eine normale Reaktion und Regulation unseres autonomen Nervensystems.
Das funktioniert automatisch und ist nicht dem Willen unterworfen. Im Gegensatz zu unseren Muskeln. Die können wir willkürlich bewegen.

Das autonome Nervensystem regelt das alles selbstständig für uns. Das könnten wir bewusst alles gar nicht selbst steuern. Wir können ja dem Herzen z. B. nicht jede Sekunde sagen, dass es schlagen soll. Schlag auf Schlag, das muss automatisch erfolgen. Genauso wie die Verdauung.

Ein gesunder Körper hat eben dieses fundamental wichtige Hilfesystem. Bei den Messungen zeigt sich, dass die Regulation bei CFS-Patienten nicht mehr stimmt.

Aussagekräftige Messverfahren bei ME CFS

Die Messung ist eine ganz einfache nicht-invasive Methode. Das heißt, man muss kein Blut abnehmen. Die Regulationsstörung kann ganz einfach, schwarz auf weiss bzw. durch rote (Sympathikus) und grüne (Parasympathikus) Bereiche abgebildet werden.

Zur Messung legen sich unsere Patienten eine halbe Stunde hin, um sich zu erholen. Bei Gesunden oder auch depressiv Erkrankten zeigt sich sehr schnell eine Regulation. Das heißt, der Sympathikus kommt runter (rote Kurve) und der Parasympathikus steigt (grüne Kurve geht nach oben).

Im Juli habe ich dazu einen Vortrag in New York bei der amerikanischen ME/CFS Selbsthilfegruppe gehalten. Ich habe dort die Messwerte von 3 Personen vorgestellt: von einem Chronisch-Fatigue-Erkrankten, einem ME/CFS-Patienten und einer gesunden Person. Alle Personen waren im gleichen Alter.

Die Messergebnisse unterscheiden sich deutlich. Und man kann sehen, dass bei CFS-Patienten der Parasympathikus überhaupt nicht ausgeschlagen hat. Dabei ist der Parasympathikus ja der wichtigste Selbstheilungs Nerv.

Wenn meine Patienten das Ergebnis zum ersten Mal sehen, haben sie Tränen in den Augen. Sie sagen: ”Endlich kann ich es sehen, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich habe mir nichts eingebildet.”

Ja, CFS ist wirklich eine körperliche Erkrankung, die man mittlerweile nachweisen kann.

Und das ist ja das Schöne: Ich kann Mut machen.

Im Unterschied zur neurologischen Untersuchung, bei der die Nervenleitfähigkeit eines Muskels einmalig gemessen wird und die i.d.R. unauffällig ist, messen wir die Belastung des Muskels genauso wie es der Neurologe machen würde (mittels EMG).

Bei CFS Patienten jedoch messen wir mit 5 Wiederholungen.

Und dann stellen wir fest, dass der Muskel bei jeder Wiederholung weniger Leistung bringt. So haben wir den Beweis für die hohe und schnelle Erschöpfbarkeit.

Als Beispiel: Ein gesunder Mensch kann gut 5 Kniebeugen hintereinander machen. Ein CFS-Kranker nur zwei.

So ähnlich macht es ja auch Frau Prof. Dr. Scheibenbogen mit dem Handmessgerät. Einmal messen und dann 20 oder 60 Minuten später noch einmal. Ein Minuspunkt dabei ist, dass Kritiker immer sagen können, dass der Getestete nicht genug Kraft ausgeübt hat.

Deshalb machen wir die Übung mit dem Rücken an der Wand. Der Getestete geht in die Hocke in eine sogenannte Skifahrer Position. In dieser Position kann man nicht weg, nicht ausweichen und somit auch nicht “schummeln”.

Somit sind die Messungen nicht diskutabel. Trotzdem gibt es noch genügend Kritiker, deshalb brauchen wir unbedingt weitere wissenschaftliche Nachweise, dass die Messmethode wirklich funktioniert.

Was ich bis jetzt publiziert habe, waren Kongressbeiträge, die nicht so hochklassig angesehen werden wie ein Forschungsbeitrag. Es ist ein wichtiges hoffnungsvolles Forschungsprojekt mit einem guten Marker. Um die Ergebnisse in einem guten medizinischen Journal publizieren zu können, braucht es noch eine Gegenüberstellung von 40 CFS-Patienten und die gleiche Anzahl von Gesunden.

Das ist wichtig, um den Marker für die Diagnosestellung zu etablieren.

Zu seinen Ergebnissen hat Prof. Dr. Stark schon 2017 einen Vortrag bei Fatigatio e.V. gehalten. Er hat dort die Ergebnisse und auch die Kurvenverläufe aufgezeigt. Die Ergebnisse und weitere Informationen zu seinem Biomarker-Forschungsprojekt kannst du auf der Internetseite seines Instituts finden.

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Reicht es, nur den Parasympathikus zu aktivieren oder was gehört noch zu einer ME/CFS-Behandlung?

In den letzten 30 Jahren habe ich vieles über diese Erkrankung gelernt. Der chronisch aktivierte Sympathikus und die fehlende Regulation verursachen ein sehr zentrales und vielschichtiges Geschehen im Körper.

Man muss als Therapeut für CFS-Patienten eigentlich alles wissen und einen Überblick über das gesamte Körpersystem haben. Es muss auf jeden Fall gesamtheitlich geguckt werden. Denn die Auswirkungen, Mangelerscheinungen und Symptome sind bei jedem unterschiedlich.

Da der Sympathikus chronisch aktiviert ist, hat dies sehr weitreichende Folgen in unserem fragilen Rückmelde-Nervensystem. Die Folgen betreffen den gesamten Körper. Z. B. kann das Immunsystem dauernd angeheizt sein oder bestimmte Mechanismen werden nicht hochgefahren, weil der Parasympathikus unterdrückt ist.

Der dauerhafte aktivierte Sympathikus und somit dauerhaft gestresste Körper verbraucht sehr viel Ressourcen. Dies führt zu einem Defizit. Folglich werden auch vermehrt Betriebsstoffe benötigt. Deshalb sind z.B. vermehrt Nahrungsergänzungsmittel wichtig.

Der Parasympathikus wirkt unter anderem auch auf den Darm. Wenn er also nicht aktiviert ist, bewegt sich der Darm nicht richtig. Es kann ein Reizdarmsyndrom entstehen. Durch die mangelnde Bewegung kann es auch zu einer Darmfehlbesiedlung kommen. Es sammeln sich dort Bakterien oder Hefen, die dort nicht hingehören.

Dies wiederum hat Auswirkungen auf unser Immunsystem. Kippt das Immunsystem ins Autoaggressive, dann muss man entsprechend agieren und Medikamente finden, die die Symptomatik abmildern.

Wenn es eine Reizdarmproblematik gibt, muss man gucken, wie der Darm gestärkt werden kann. Mit entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln können Defizite ausgeglichen werden.

Es gibt also mehrere Stellschrauben, an denen man individuell drehen muss.

Über Ergänzungsmittel und Blutwäsche bei  ME/CFS

Für ME/CFS gibt es keine allgemein gültige Behandlungsempfehlung. Es spielt so vieles im Körper einen Rolle. Jeder Mensch ist anders und muss einzeln und individuell betrachtet werden.

Die meisten Therapeuten und Ärzte dagegen agieren in ihren Schubladen. Ich kenne einen Arzt, zu dem fahren in ihrer Verzweiflung viele Patienten, weil sie so große Hoffnung in ihn haben. Anschließend kommen sie mit einer schrotschussartigen Verschreibung von allen möglichen Nahrungsergänzungsmitteln zurück. Das ist gar nicht hilfreich.

Diesen Patienten sage ich:” Diese Art der Behandlung nützt nicht viel. Im Gegenteil – es ist manchmal noch zusätzlicher Stress für den Körper.”

Man sollte lieber Hypothesenorientiert vorgehen.

Also erstmal untersuchen, wo wirklich Defizite sind. Diese dann gezielt auffüllen. Nicht einfach verschreiben, weil das irgendeinem Patienten schon mal gut getan hat.

Das Ganze ist ein großes Dilemma. Jeder einzelne ist so verzweifelt und greift dann nach jedem Strohhalm. Alles wird ausprobiert, weil man in den sozialen Medien davon gehört hat.

Ich habe Patienten gehabt, die einige tausend Euro ausgegeben haben, z.B. auch für Blutwäsche, die ihnen aber nicht geholfen hat. Hier macht es Frau Prof. Scheibenbogen gut. Sie guckt erstmal, welche Parameter im Blut gemessen werden. Daraufhin macht sie eine hypothesenzentrierte Blutwäsche. Das ist eine Vorgehensweise, die Sinn macht. So machen es nicht viele. Andere bieten einfach Blutwäsche für jeden an. Nicht wirklich hilfreich. (Hier findest du eine Liste mit über 35 möglichen Ursachen für ein Fatigue-Syndrom.)

Prof. Stark’s Rat an alle ME/CFS Betroffenen

Greifen Sie nicht blind nach jedem Strohhalm.

Informieren Sie sich.

Suchen Sie einen vertrauenswürdigen Arzt / Therapeuten, der die Erkrankung kennt und eine Meinung dazu hat, z.B. Umweltärzte. (Eine Liste von Ärzten findet sich unter Ressourcen).

Denn einige meiner PatienInnen berichteten mir, dass es ihnen schlechter ging, nachdem sie z.B. Ausleitungsmedikamente genommen haben. Sie haben also einfach diese Mittel genommen, weil es ihnen empfohlen wurde.

Es ist besser, erstmal im Blut oder Urin festzustellen, ob Schwermetalle oder andere Stoffe nachweisbar sind, die zu viel oder am falschen Ort im Körper vorhanden sind. Erst dann macht man eine Blutwäsche oder eine Ausleitung.

Warum spielt die Psyche doch eine Rolle?

In vielen Dokumentationen zu CFS kommen Mediziner zu Wort: Immunologen, Internisten oder Umweltmediziner. Sie haben noch keine Heilmethode für ME/CFS in ihrem Fachgebiet gefunden, und dies wird in den Dokus oft sehr deutlich kommuniziert. Das ist sehr schade. Denn es ist sehr deprimierend für alle Erkrankten immer nur zu hören, dass es noch nichts gibt, das dir helfen kann.

Dabei gibt es ja Hoffnung. Es ist möglich, etwas zu tun.

Und dabei spielt die Psyche bei der umfassenden Therapie von ME/CFS eine wichtige Rolle. Und das, obwohl ich als Fachmann und als Psychiater der Allererste bin, der sagen kann und auch sagt:

ME/CFS ist keine psychische, sondern eine körperliche Erkrankung.

Trotzdem spielt die Psyche eben bei der Behandlung eine Rolle. Durch mentale Techniken können z.B. das Nervensystem und die Regulationsmechanismen beeinflusst werden. Wie z.B. die Yogis, die sich schmerzfrei Ringe oder Pfeile in die Haut stechen lassen oder die gelernt haben, ihren Blutdruck und ihr Kälteempfinden herunterzufahren.

Dass Betroffene bei dem Wort “Psyche” allergisch reagieren, ist natürlich sehr verständlich. Gerade, wenn irgendein Professor in der Bildzeitung behauptet, dass die Ursache für ME/CFS ausschließlich psychisch ist. Was für ein Unsinn.

Und doch ist es eben hilfreich, die Psyche mit bei der Behandlung einzubeziehen. Und zwar deshalb, weil wir mit der Psyche und mit mentalen Techniken wunderbar auf unseren Körper einwirken können.

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Hilfreiche mentale Techniken

Wenn ich von der Psyche rede, dann geht es in diesem Zusammenhang nicht um eine Psychotherapie, sondern um mentale Techniken. Werkzeuge, mit denen ich mein Nervensystem beeinflussen kann und dort ansetze, wo der Organismus gerade fehlreguliert ist.

Eine sehr förderliche mentale und auch körperliche Technik ist die Atemtechnik.

Mit bestimmten Techniken können wir willentlich unsere Atmung beeinflussen, z.B. in Bezug auf Frequenz und Tiefe. Somit ist die Atmung eines der wenigen Parameter des autonomen Nervensystems, das wir willkürlich beeinflussen können.

Wenn wir die Atmung nicht beeinflussen, dann wird sie vom autonomen Nervensystem gesteuert. Wenn wir im Sympathikus Modus sind, atmen wir flach und kurz. Genau das können wir aber gut beeinflussen, indem wir bewusst atmen und bestimmte Techniken dafür anwenden.
Das Regulieren des Nervensystems mithilfe der Atmung ist eines der ersten Themen, mit denen ich mit meinen PatientInnen rede.

Ziel der Technik ist es, die Atmung zu vertiefen und dadurch den Nervus Vagus zu aktivieren. Dazu gibt es ganz viele einfache Übungen im Internet. Wie z.B. die Nasenatmung, bei der man abwechselnd ein Nasenloch zuhält.

Es geht auch noch einfacher:

Langsam und tief in den Bauch hinein atmen und zählen.

Bei der Einatmung 21…22…23…24…25.

Und bei der Ausatmung 21…22…23…24…25…26…27.

Also immer etwas länger ausatmen als einatmen.

Sehr angespannte Menschen können das nicht auf Anhieb. Dann sollen sie einfach weniger zählen, kürzere Atemzüge machen. Also immer so, wie es gerade in ihrer Situation möglich ist, ohne in Stress zu geraten.

Das gilt übrigens für alle Übungen: Man muss seinen eigenen Weg finden.

Es ist wichtig, Vorschläge nicht eins zu eins zu übernehmen, sondern zu gucken, wie man dies für sich umsetzen kann. (Weitere Tipps findest du u.a. im Artikel: Wie die Buteyko Atmung deine Genesung fördern kann.)

Warum es so wichtig, wohlwollend mit sich zu sein

Die Kunst dieser Erkrankung ist, Neugier zu haben und seinen eigenen Weg zu finden. Deshalb finde ich es so wichtig, meinen PatientInnen diesen fundamentalen Zusammenhang unseres Steuerungssystems zu erklären:

Dass die körperliche Erholung nicht ausreichend stattfinden kann, wenn der Sympathikus Modus dauerhaft aktiviert ist.

Du merkst, dass Prof. Stark immer wieder zum Kernproblem bei ME CFS zurückkommt. Diese Wiederholungen haben wir bewusst auch in diesem Artikel beibehalten, damit dieses wichtige Thema noch besser hängen bleibt. Erlaube uns deshalb, Prof. Stark nochmal zu diesem wichtigen Thema sprechen zu lassen.

Man sagt auch “Tired but Wired„.
Das bedeutet, man ist müde und steht trotzdem die ganze Zeit unter Strom.

Dadurch kommt es zu Schlafstörungen. Denn das System schaltet ja auch nachts nicht in den Ruhemodus. Messungen zeigen, dass CFS Betroffene oft überhaupt keine Tiefschlafphasen haben. Das ist sehr fatal. Denn keine Tiefschlafphasen zu haben ist Folter. (Amerkianker nutzen diese Folter in Guantanamo).

Diese ständige Anspannung erzeugt einen hohen Leidensdruck für alle Betroffenen und ist sehr belastend. Da helfen auch keine Medikamente. Diese betäuben und sorgen dafür, dass man die Augen zu macht und nicht aufwacht, aber sie bringen den Körper trotzdem nicht in den Entspannungs-Modus. Dabei ist der Parasympathikus für die Erholung so immens wichtig.

Was hier hilft, sind mentale Techniken abends vor dem Einschlafen. Es ist wichtig, zur Ruhe zu kommen. Ich sage meine PatientInnen, dass sie ein abendliches Gespräch mit sich selbst führen können, als Rückblick auf den Tag. Abends hat man noch viele Sachen im Kopf. Einiges hat nicht geklappt. Vielleicht bin ich enttäuscht worden, weil ich nicht konnte, wie ich wollte. Das alles beschäftigt einen und lässt uns nicht schlafen.

Insofern müssen wir bewusst “Stopp” sagen.

Es ist wichtig, eine Zäsur zwischen Tag und Nacht zu setzen. Sich zu sagen: “Ich blicke jetzt auf den Tag zurück, der jetzt vorbei ist. Jetzt kommt die Nacht, und die Nacht ist zur Erholung da. Alles was im Kopf noch grübelt … das hat Zeit bis morgen.

Wichtig ist auch, sich sehr wohlwollend zu sagen: Ich habe mich bemüht, ich habe versucht, den Tag so gut wie möglich hinzukriegen. Ich bin auf dem richtigen Weg, heute hat vielleicht nicht alles geklappt. Aber ich habe es versucht.

Man kann sich immer auch ein bisschen loben für die Dinge, die man bewältigt hat. Eben wohlwollend mit sich selbst zu sein.

Denn viele Erkrankte fühlen sich schuldhaft und sind frustriert. Das ist auch total verständlich. Aber es nützt ihnen nichts, sauer und frustriert zu sein. Es führt leider zu keiner Verbesserung ihres Zustandes.

Denn in diesem Zustand fährt der Sympathikus nicht zurück, das Gehirn und die Amygdala kommen nicht zur Ruhe. Sie denken, dass sie noch weiter Kraft geben müssen. Obwohl die Kraft ja gar nicht mehr wirkt. Sie ist ja schon längst aufgebraucht.

Diesem Kreislauf muss man etwas mental entgegensetzen, und zwar durch Wohlwollen sich selbst gegenüber.

Denn Wohlwollen mit sich selbst stärkt den Parasympathikus.

Praktische Tipps, sich etwas Gutes zu tun

Wohlwollen praktizieren wir, wenn wir uns trösten und beruhigen wie eine Mutter ihr Kind. Denn ein Baby das schreit, das schüttelt man ja nicht, sondern wiegt es behutsam in den Schlaf.

Dieses sanfte Wiegen, die sanften Bewegungen – das ist sehr hilfreich. Damit arbeitet auch mein Sportwissenschaftler. Er arbeitet mit Vibrationsplatten, die auf eine wiegende Frequenz eingestellt sind. Die PatientInnen werden ganz sanft geschüttelt, so dass die Muskeln sich lockern und nicht gestresst werden.

Anders als die Vibrationsplatten im Sportstudio. Da laufen die Platten bei 15 oder 20 Hz, um den Muskel zu takten, damit er sich anstrengt und Muskelmasse aufbaut. Das ist bei ME/CFS natürlich Gift. Aber diese wiegenden 5-7 Hz, die sind gut, um die Muskulatur des Körpers und die Faszien zu lockern.

So etwas ist genauso hilfreich wie passive Mobilisierung. Beides ist auch mit bettlägerigen PatientInnen noch möglich und wichtig. Denn der Muskel muss bewegt werden, sonst verkümmert er. Entweder kleine Bewegungen selber ausführen oder – wenn man sich nicht selbst bewegen kann – muss ein Physiotherapeut die Bewegungen machen.

PEM, Pacing und der schmale Grat sich vorsichtig zu fordern

Kann man Pacing übertreiben und so wenig machen, dass man in 2-3 Jahren immer noch am selben Punkt ist? Und wie wichtig ist trotz der Belastungsintoleranz PEM ein gewisses Maß an Herausforderung ?

Wenn man Bewegung gänzlich vermeidet und nie an den Punkt kommt, dass mir etwas nicht mehr gut tut, dann ist das nicht hilfreich. Denn dann verkümmert man.

Es ist genau wie bei einem Beinbruch. Man liegt im Bett, kann sich nicht bewegen und nach 4 Wochen ist der Muskel völlig geschrumpft.

Wir müssen deshalb neugierig bleiben und auch mutig sein. Immer die kleinen Herausforderungen in uns leben lassen. Immer wieder mal gucken, wie weit ich gehen kann. Aber dann eben nicht weit darüber hinaus.

Deshalb ist es auch so wichtig, achtsam vorzugehen. Zu sagen: „Halt, ich darf jetzt nicht so weit gehen, dass ich wieder zwei Tage platt bin, aber ich muss so weit gehen, dass ich eine kleine Anstrengung merke”.

So darf ich es machen und danach sofort die Atemtechnik einsetzen, um meinem Körper zu signalisieren, liebe Amygdala, ich habe mich zwar bewegt, das findest du gefährlich, aber hiermit signalisiere ich dir, dass keine Gefahr besteht. Ich habe mich bewusst bewegt.

Da kommt wieder die mentale Technik ins Spiel.

Ganz wichtig ist also die Kombination von Bewegung und mentaler Übung.

Welche Hilfsmittel unterstützend auf den Körper wirken können

Es gibt verschiedene Gerätschaften, die genutzt werden können, um den Körper zu entlasten. Wie z. B. Massage- oder Akupressurmatten oder auch TENS-Geräte.
Da habe ich positive Erfahrungsberichte von meinen PatientInnen bekommen. Aber auch bei diesen Geräten und Therapien muss man experimentell vorgehen. Ausprobieren. Und das Wichtigste: nicht enttäuscht sein, wenn es bei einem selbst nicht wirkt.

Aber wir haben z. B. auch diese Magnetfeldmatten. Da gibt es wissenschaftliche Untersuchungen dazu, die belegen, dass die Fasziendicke abnimmt und die Verklebungen der Faszien sich lösen.

Gut ist auch, sich selbst fürsorglich zu behandeln. In Form von Trockenbürsten oder sich streicheln. Wohlwollend seinen Körper ausstreichen. Denn alles was fürsorglich getan wird, begreift der Körper und kann entspannen.

Zu der ganzen Entspannung muss dann aber auch Anspannung kommen. In Form von: So jetzt versuche ich aber mal aufzustehen oder ich setze mich mal auf die Bank nach draußen in die Sonne. Oder ich gehe mal im Garten 10 Schritte oder ich gehe mal um den Block.

Das Maß der Bewegung hängt natürlich von der einzelnen Leistungsfähigkeit des Menschen ab. Aber ein wenig Herausforderung ist notwendig. Sich selbst fordern, aber mit Achtsamkeit und mit dem Wissen über die Zusammenhänge. Und auch hier wieder mit Wohlwollen. Wenn’s mal nicht klappt, na ja, dann habe ich es versucht. Immerhin habe ich es versucht. Das ist wichtig.

Zusammenhänge von Stress, Genetik und Mitochondrien

Stress verarbeiten wir übrigens auch biologisch und immunologisch. Deshalb werden an dieser Stelle unsere genetischen Profile interessant.
Durch genetische Untersuchungen haben wir festgestellt, dass viele ME CFS Erkrankte mehrere genetische Störungen hatten. Mehr als die allgemeine Bevölkerung. Das heißt, sie können biologisch schon bestimmte Umwelteinflüsse nicht so gut verarbeiten. Es erklärt auch, warum manche eben nach einer Infektion an ME CFS oder Long Covid erkranken und andere nicht. Zumindest ist es eines der Faktoren.

Das ist ja sehr wichtig für die Betroffenen zu wissen: Es gibt eine biologische Ursache und sie bilden sich nichts ein.

Es gibt z.B. genetische Profile, die für den Stress-Abbau zuständig sind, für das Recycling unserer Neurotransmitter. Das Enzym heißt COMT (Catechol-O-Methyltransferase). COMT baut Dopamin ab.

Unser Körper ist ja dauergestresst, immer im Sympathikusmodus und somit ständig angestrengt. Das kann man per Messung herausfinden. In diesem Zustand wird viel Dopamin ausgeschüttet.

Ich habe durch Befragen der an ME/CFS erkrankten Menschen nach ihren Lebensgeschichten folgendes herausgefunden. Sehr viele waren hochleistungsfähig in ihrem Beruf, hoch kreativ und haben auch komplizierte Sachverhalte sofort begriffen.

Doch dann habe ich festgestellt, dass wenn dieses COMT-Enzym bei den Menschen eine schlechte Recycling Qualität hat und sie in Stress geraten, dann steigt der Dopaminspiegel stark an.

Zu viel Dopamin führt zu Ängstlichkeit, zu Überzogenheit, Wahrnehmungsstörungen, Überempfindlichkeit gegen Licht, Lärm, Berührung. Denn alle unsere sensorischen Wahrnehmungen werden überwiegend über das Dopamin gesteuert.

Wenn also der Dopaminspiegel viel zu hoch ist, dann wird unsere Wahrnehmung scharf geschaltet. Im biologischen Sinn ist dies auch genau richtig und wichtig. Denn man muss rechtzeitig erkennen können, ob Gefahr besteht oder eben nicht, damit man im Notfall alle Fluchtreflexe aktiviert hat.

Diese Scharfschaltung bei einem Enzym, was nicht richtig funktioniert und was man ja messen kann, führt dann dazu, dass die Erkrankten eben diese sensorische Überempfindlichkeit haben.

Messbar ist es z.B. an dem GST-Wert. Der GST T1 zeigt an, wie stark die Entgiftungsfähigkeit eingeschränkt ist. Also kann man auch Quecksilber oder Plastik oder die E-Stoffe in den Nahrungsmitteln nicht vertragen bzw. nicht ausscheiden.

Da kann man dann verschiedene Maßnahmen ergreifen, auch wenn es genetisch bedingt ist.

Bei COMT z.B. kann geschaut werden, ob der Cofaktor Selen und andere Cofaktoren, die das Enzym braucht, genügend vorhanden ist.

Das Gen SOD 2 baut die Oxidation im Blut ab. Wenn das zu wenig im Körper vorhanden ist, kann Stress schlechter abgebaut werden und das kann dazu führen, dass die Mitochondrien geschädigt werden.

Wenn man dauerhaft gestresst ist und zu viele oxidative Faktoren im Blut sind, dann werden die Mitochondrien gestresst. Das führt dazu, dass Kalziumkanäle verstopfen und dann kann ADP nicht in ATP umgewandelt werden.

Das ist aber keine klassische Mitochondrienerkrankung, sondern eine Folge des nicht funktionierenden Regulationssystems.

Trotzdem muss man aber für die Mitochondrien etwas tun. Es muss unbedingt versucht werden, diese Nebenschauplätze in den Griff zu bekommen und eine Therapie dafür zu finden. Wenn das Immunsystem gekippt ist, muss ggf. eine Blutwäsche gemacht werden.

Als allererstes und auf jeden parallel zu den Behandlungen muss man seine autonome Nervenregulation wieder in den Griff bekommen. Denn sie ist die Ursache für die ganzen Störungen.

Dafür plädiere ich sehr stark.

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Was wir alles tun können, um Besserung zu erleben

Es gibt mehrere Maßnahmen, die man unternehmen kann, um Besserung zu erleben: sich gesund ernähren, Giftstoffe vermeiden und vielleicht auch Nahrungsergänzungsmittel wie z. B. Glutathion oder andere Mittel. Diese helfen dann dem Körper, zu entgiften. Auch kann man die Leber unterstützen und noch vieles mehr.

Der Darm spielt ebenfalls eine sehr große Rolle. Ich sage allen meine PatientInnen, dass der Darm funktionieren muss, weil wir gerade über den Darm diese Stoffe aufnehmen, die der Körper nicht mehr braucht.

Wenn wir z. B. ein Leaky Gut haben, also eine durchlässige Darmwand, dann vergiftet unser Organismus noch mehr. Das wiederum führt zu dauerhaften Entzündungen und unser Körper kommt einfach nicht zur Ruhe.

Auch die Zähne müssen mit betrachtet werden. Ich habe ganz viele Patienten, die sehr schlechte Zähne haben, teilweise auch mit NICOS (versteckte Entzündungen im Kiefer). Die Zahngesundheit wiederherzustellen kann ein langer Prozess sein, aber es lohnt sich.

Auch Traumatisierungen spielen eine Rolle bei ME/CFS.

Was auch noch oben drauf kommt, sind unverarbeitete Erlebnisse. Dieses Thema verdrängen die meisten, auch aus dem Grund, weil sie mit der Psyche nichts zu tun haben wollen.

Aber es gibt traumatische Erlebnisse, die der Mensch schon seit der Geburt und zum Teil auch vorgeburtlich hat. Die Neurowissenschaft weiss, dass wenn eine Mutter kurz vor oder während der Geburt massiv gestresst ist, die Stresshormone auf den Fötus übertragen werden. Das bedeutet, dass schon der Fötus in seiner Regulationsfähigkeit gestört ist. Er wird überflutet mit Stresshormonen.

Erst recht, wenn die Geburt schwierig ist und evtl. Erstickungsgefahr droht oder andere Komplikationen auftreten, so dass Mutter und Baby getrennt werden müssen. Das ist dann schon eine frühe Traumatisierung. Denn das Baby ist total auf die Mutter und den körperlichen Kontakt angewiesen.

Das hat die Medizin zum Teil schon eingesehen. Deshalb werden die Eltern angehalten, wenn die Frühgeborenen im Brutkasten liegen, das Kind zu berühren. Denn nur so entsteht eine Bindung. Die Kinder, die diese Bindung nicht kriegen, können nicht lernen, sich zu regulieren.

Dazu hat man in den 50er Jahren in der Psychologie Experimente durchgeführt, und zwar mit Affenbabys, die an künstliche Mütter gewöhnt wurden. Dazu nutzte man Gitter. Eines war aus Metall und mit Schnuller und Milch verbunden, das andere war mit Stoff bezogen, ebenfalls mit Schnuller und Milch verbunden.

Die Affenbabys, die nur das Metallgitter erlebten, sind verkümmert, weil ihnen die Wärme fehlte. Auch bei Ratten, die getrennt aufgezogen wurden, konnte man den Stress nachweisen.

So kann man auch bei Tieren feststellen, was für ein Stress fehlende Bindung ist und welche Auswirkungen dies auf den Körper hat. Solch ein traumatischer Stress wird im biologischen System gespeichert.

Dazu gibt es noch weitere Traumata, die eine ME CFS Erkrankung mit auslösen bzw. unterhalten können.

Mobbing in der Schule, sexueller Missbrauch, oder andere traumatische Erfahrungen. Aber was haben diese Traumata mit ME CFS zu tun?

Bei ME CFS wird dieses verbundene Gefühl der Hilflosigkeit erneut gespürt. Man geht z.B. zum Arzt und muss sich anhören: “Du hast nichts oder du bist verrückt oder depressiv.” Obwohl man genau spürt, dass man krank ist. Wieder diese Hilflosigkeit Erfahrung, ähnlich wie bei früheren Traumata. ME CFS betont und weckt also diese Hilflosigkeit wieder.

Dadurch kommt dann doch eine psychische Komponente mit rein, die ebenfalls behandelt werden muss.

Ich als Psychotherapeut weiss, dass ein Zusammenhang besteht und alte traumatisierende Erfahrungen dadurch wieder aktiviert werden können.
Diese Traumafolgen kann man mit einer Traumatherapie behandeln (z. B. Polyvagaltherapie, Somatic Experience).

Denn alle Erinnerungen, Erfahrungen und Erlebnisse sind in jeder Zelle gespeichert. Da gibt es z.B. Erlebnisberichte von Herztransplantierten, die plötzlich Dinge gefühlt und erinnert haben, die sie gar nicht selbst erlebt hatten.

Dieses Wissen ist für uns sehr hilfreich. Es hilft uns zu verstehen, dass ME/CFS immer eine Vorgeschichte hat. Man ist zwar plötzlich erkrankt, häufig ist es ein Infekt. Aber das ist immer nur der letzte Auslöser, der letzte Faktor, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Der Körper kann sich nicht mehr wehren und bricht zusammen. Die Abwehrkräfte frieren in der erhöhten Sympathikusaktivierung ein. Und genau das ist das Schädliche. Die ganze weitere Kommunikation der Neurotransmitter, Hormone und der Immunstaffel funktioniert nicht mehr richtig.

Es ist also sehr wichtig, den Vagusnerv zu trainieren, zu beruhigen, zu besänftigen. Dies ist die zentrale Therapie und drum herum muss man eben auch die Begleiterscheinungen angehen. Themen, für die man in dieser Erkrankung ausreichend Zeit hat.

Man kann sich z. B. fragen: „Gibt es da noch Unverarbeitetes aus der Vergangenheit, um das ich mich kümmern muss”.

Alle meine PatientInnen waren z.b. hoch leistungsmotiviert. Und das ist ja gerade der Fehler. Zu motiviert zu sein und zu wenig Rücksicht auf sich selbst zu nehmen. Sie haben sich zusammengerissen, um Leistung zu bringen.

Auch das ist eine psychische Komponente. Warum sind wir so leistungsorientiert, was hat uns dazu gebracht? Welcher Erziehungsstil unserer Eltern hat uns dazu gebracht, nie mit uns zufrieden sein zu können. Nie loslassen zu dürfen, warum nur anderen, aber nicht sich selbst gegenüber wohlwollend sein zu dürfen.

Deshalb ist genau dies ein zentrales Anliegen meiner Selbsthilfekurse:
Zu lernen, wohlwollend sich selbst gegenüber zu sein.
Dieses Wohlwollen als kleines Samenkorn einzupflanzen.
Und wohlwollend auf seinen Körper zu hören.

Sich zu sagen: Ja, mein Körper hat mir gesagt, es geht nicht mehr. So geht es nicht mehr weiter. Das ist eine eindeutige Botschaft. Jetzt muss ich lernen zu sehen, wie ich wohlwollender mit mir umgehen kann. Damit ich meine Selbstheilungskräfte in mir fördere.

Im Podcast sprechen wir an dieser Stelle über hilfreiche Begleitprogramme wie das 7-Schritte-Programm von Prof. Stark oder das Gupta Programm. Solche Programme können eine sehr gute Begleitung sein, um das Nervensystem neu zu regulieren, den Vagusnerv zu stimulieren und sich über eine längere Zeit, strategisch und wiederholend, auf verschiedene Art und Weise wohlwollend etwas Gutes zu tun. Die Kurse geben sehr konkrete und praktische Werkzeuge an die Hand.

Es lohnt sich, eines der Programme mal näher anzuschauen.

Ein mutmachendes Schlusswort

In dem zweiteiligen Podcast hat Johannes viele wichtige Dinge mit Prof. Stark angesprochen. Ein zentrales Thema war das autonome Nervensystem mit der Aktivierung des Nervus Vagus und viele praktische Wege, dieses fehlgeleitete Nervensystem neu zu regulieren.

Bei allem war es das Ziel, dass wir unsere Selbstwirksamkeit  stärken. Prof. Stark nennt es in seinem Kurs “Der Kapitän auf dem eigenen Schiff zu sein”. Johannes sprach von eigenverantwortlicher Selbstwirksamkeit. Beides meint das Gleiche. Und so lassen wir uns zum Schluss noch mal von Prof. Dr. Stark ermutigen:

Ich möchte allen Mut machen.

Bitte geben Sie nicht auf.

Lassen Sie sich nicht entmutigen von Ärzten / Therapeuten, die behaupten, es gäbe keine Heilung und man könne nichts tun.

Das stimmt nicht.

Man kann vieles machen, damit es einem besser geht.


Weitere passende Blogartikel dazu:
Wie wir unseren Vagusnerv heilen können.
ME CFS – ist Heilung möglich?
Von CFS geheilt: Diese Erfahrungen zeigen, dass es möglich ist!

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